22. April bis 30. Juni 2024
Im malerischen Werk David Morgensterns alternieren Raum und Maßstab im Schwebezustand permanenter Veränderung und Schwankung. Sei es der Raum des menschlichen Körpers, das imaginierte architektonische Konstrukt oder der mitunter undefinierte Umgebungsraum, alles bleibt und wird transitorisch vage.
Mittels nuancierter chromatischer Abstufung entwickelt der Künstler eine kaum greif- und verortbare Atmosphäre seiner fingierten Orte, die Italo Cavinos „Unsichbaren Städten“ entsprungen sein könnten.
Midissage am 1.6.2024 von 14 bis 18 Uhr
mit Musikperformance von BUIO (Void Blues Duo, Dresden)
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog
Körper im unendlichen Raum
Essay von Katharina Arlt
2017, ein Jahr nach Beendigung seines Meisterschülerstudiums bei Christian Sery an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden, wird David Morgenstern mit dem Hegenbarth-Stipendium der Dresdner Hochschule für Bildende Künste ausgezeichnet. Sein bis 2018 von einem intermedialen Ansatz geprägtes Werk sensibilisiert in den Gattungen der Collage, Skulptur und Installation für gesellschaftspolitische und soziale Inhalte. Anhand von Raumkonzeptionen, verstanden als konkrete Orte und Szenerien, entsteht 2014 u. a. das kollektive Projekt „Unreal Estate“, das sich der Gentrifizierung und Wohnungsmarktpolitik in Deutschland widmet. Gemeinsam mit Jan Brokof arbeitet Morgenstern 2017 im Rahmen der Ausstellung „Exoot -Tropical Healing“ an einer theatralen Rauminstallation, die den Folgen von Kolonialismus und europäischen Exotismusvorstellungen nachspürt. In den Folgejahren gewinnt die Malerei in Öl und Bitumen auf Leinwand zunehmend an Bedeutung für den 1980 in Görlitz geborenen Künstler. Auch hier kann man von Raumschöpfungen sprechen, da sich der Malgrund zu einer Art Experimentierfeld für Beobachtungen mathematisch rationalisierter Raumbilder geriert.
Morgenstern dekonstruiert und unterminiert zunehmend die tradierte europäische
Linearperspektive. Bereits sein maltechnisches Vorgehen und die Auswahl der Bild- gründe ist Teil dieses Konventionen konterkarierenden Werkprozesses. Mitunter wer- den Rupfen oder Gebrauchstextilien, wie Tischdecken und Bettleinen, auf Keilrahmen gespannt. Die klassische Gips- oder Kreidegrundierung kann auch durch schlichtes Malerweiß ersetzt werden. Morgenstern arbeitet in Schichten, oftmals bilden auch von Künstlerkolleginnen und Kollegen verworfene Arbeiten die Basis für seine eigenen Gemälde. Er integriert das bereits Geschaffene vorwiegend als chromatische Folie in seine sich allmählich darüber entwickelnden Kompositionen. Mittels dicht und rasch gesetzten Pinselzügen baut der Künstler gewissermaßen einen Fond, den er teilweise, nach phasenweiser Trocknung, schleifend wieder abträgt. Er schafft Formen, um sie partiell wieder verschwinden zu lassen. Dabei verschwimmt zusehends die Grenze an
der die gestalterischen Eingriffe aufhören und die Eigendynamik der verwendeten Medien beginnt.
Das bis 2019 dominierende Bildzeichenrepertoire, bestehend aus Fragmenten architektonischer Bauelemente wie Bogen und Arkade, kondensiert der Künstler immer stärker auf nahezu vollkommen abstrakte Figuren aus Kreisbogen, Halbgerade, Hyperbelast oder Kreissegment. Auch in seiner von 2020 bis 2023 entstandenen Malerei bleibt das Raum-thema und dessen Durchdringung auf dem planen Malgrund weiterhin virulent. Er konzentriert sich auf vermeintlich konstruktive Raumdefinitionen und deren Einrichtung als Ein- und Ausschließen des Raumes. Illusionistisch-plastische Gebilde, aber auch abstrahierend in Auflösung begriffene Figurationen, besetzen seinen Bildraum, der mitunter zwischen leerem Volumen und durchbrochener Raumfülle changiert. Allerdings findet Morgenstern nun zu einer stärker gegenstandsbezogenen Bildsprache, die neben dem geometrisch-analytischen Raum auch den anthropomorphen Körper als raumbildend begreift.
In David Morgensterns aktuellen Arbeiten bleibt der stets sichtbare Pinselduktus integrativer Bestandteil der jeweiligen Komposition. Bewegte, diffuse und impulsiv zu nennende Pinselfakturen bestimmen die vielschichtigen Bildgründe seiner Kompositionen. Über einem Palimpsest aus dunkleren Farbschichten, die unter den dichten Lagen aus variantenreichen Weißtönen immer wieder hervor schimmern, entwickelt er einen Perspektivraum ungewisser Richtung und Ausdehnung. Der Fond seiner von architektonischen Capriccios und anthropomorphen Körpern besetzten Bildräume ist keine betonte Bildfläche, sondern eine von jeglichen Definitionen des realistischen Umraums unabhängige, abstrakte Ebene. Als solcher ist er den darüber geradezu freischwebenden Bilddingen nicht allein in Pinselfaktur und Chromatik gewissermaßen gleichgeordnet, auch seine räumliche Indifferenz führt bisweilen zur Aufhebung von Vorder- und Hintergrund.
In, auf, über oder vor diesem vagen Raum entwickelt David Morgenstern seine bizarren und enigmatischen Architekturphantasien. Hierbei verschränkt und addiert er mehrere unterschiedliche Architekturtypen und mitunter unvereinbare Bauelemente miteinander. Es entstehen hybride, absurde und dysfunktionale Gebilde. So wird in „Zweckbau III“ ein Torbau mit Gewölberundbogen von einem ziegelgedeckten Pultdach überfangen, wobei einer seiner Pylonen von einem Blendgehäuse überformt, zugleich in ein geschweiftes Mauermassiv übergeht. Auch in „Unendliches Mausoleum I“ nutzt David Morgenstern das Prinzip der perzeptiven Inversion, das optische Umspringen der Wahrnehmung bei Formen, die mehrere Lesarten zulassen. Hier ist es eine surreale Verbindung aus mehrfach überwölbter Torbauarchitektur und Arkadenform. Doch einer der Pylonen scheint sowohl im Hintergrund als stützendes Element zu fungieren und zugleich in den vorderen Bildraum zu ragen, während ein weiterer auf einer dreieckigen Basis in vertikaler Achse auch die Funktion einer Mauer übernimmt. Je nach Blickachse, ob nun frontal in Lesrichtung zum Bildmotiv, oder im Wechsel des Hochformats zum Querformat in einer 90° Wende, wir können die Architekturen als räumliche Struktur oder als in der Fläche verhaftete Form wahrnehmen. Vor unseren Augen entsteht ein mehrdimensionaler Bildraum, der unseren Blick permanent in Bewegung hält. Hinzu kommt, dass Morgenstern auch in der chromatischen Fassung eine Reduzierung der Farbvarianz bevorzugt, mitunter eine nuancierte Monochromie der Grau- und Weißtöne forciert, die jegliche Materialitätszuordnung verweigert.
David Morgensterns Werke sind dem Betrachter gleichermaßen vertraut und unheimlich. Vertraut, weil sie die archetypischen baulichen Elemente wie Fassaden, Torbauten, Türme, aber auch zylindrische Industrieschlote und Fensteröffnungen, hell verputzte Giebelfelder und rote Ziegelmauern zitieren, die unverrückbar zu unserer tradierten Stadtbildvorstellung gehören. Unheimlich aber deshalb, weil sich diese bei genauerer Inaugenscheinnahme als bloße Kulissen entlarven. Wir erleben Momente der Transitorik beim Anblick der unterschiedlichen Gebäudetypen und Bauelemente, die selbst als fiktive Komposita, wie in einer Montage arrangiert, den hellen Bildgrund füllen, als habe ihr Baumeister die Szenerie soeben verlassen und könne jeden Moment zurückkehren,
um in seine Mise-en-scène einzugreifen. Bisweilen erweisen sich die in den jeweiligen Gemäldetiteln als „Zweckbau“ bezeichneten Gebäude Morgensterns als Parodie oder gar Finte des jeweiligen Gebäudetypus, den sie nachzuahmen scheinen. So integriert der Künstler in seine schmucklosen Inventionen von Memorialarchitekturen eines Triumphbogens und Torbaus paradoxer Weise winzig kleine Fensteröffnungen, jedoch keinen sichtbaren Ein- und Ausgang, der das Innere des Gebäudes erschließt.
Generell erhalten wir den Eindruck, statt auf reale Bauten, auf ein szenografisch arrangiertes Ensemble zu schauen. Requisitenbauten ohne Tiefe, deren sichtbare Gebäudestruktur sich oftmals als Fassaden und Blendarchitekturen offenbaren, mit Fenstern, die keine Öffnungen besitzen und Toren, die uns nirgendwo hinführen oder unmittelbar an einem Mauerabschluss enden. Ihre räumliche Tiefe und Funktion werden lediglich durch Konturen und summarische Flächen suggeriert. Deutlich wird dies vor allem dann, wenn weibliche Akte hinzutreten, die sich als formatfüllende Figurationen, wie superiore Wesen, jenen im Maßstab unterlegenen Bauelementen zuwenden. Wie Baumeisterinnen bewegen sie die einzelnen Modellarchitekturen oder scheinen sich ihnen anzuverwandeln. Doch auch sie sind Teil eines undefinierten Raumes, der auch ein Bühnenraum sein könnte – stumm in kaltes und fahles Licht getaucht, das einer natürlichen aber genauso gut auch einer künstlichen Lichtquelle entspringen könnte.
Der Mensch wird in David Morgensterns Gemälden, in denen er formatfüllend die Komposition bestimmt, in einem transformatorischen Zustand begriffen. Als nacktes, kauerndes Wesen auf einem undefinierten Untergrund zeichnet sich dessen knochige Struktur der Wirbelsäule als eine Art Treppenformation ab, die ganze Leiblichkeit wird zum Gehäuse, zu einer raumgreifenden abstrakten Form. In „Mittagsschlaf II“ beugt sich ein weiblicher Akt vornüber in die vermeintliche Öffnung eines Baukörpers und wird scheinbar von einem anderen architektonischen Element verschlungen. Beide Körper, der des Menschen und der der Architektur, verbinden sich in symbiotischer Metamorphose, die auch in der identischen malerischen Textur und im chromatischen Illusionsgrad beider Figurationen ihre Entsprechung findet. Morgenstern rekurriert hier indirekt auf die Metapher des menschlichen Körpers, der vor allem in der frühen Neuzeit sogar als ein unmittelbares symbolisches Abbild der Architektur und ihrer Teile galt. Im Sinne dieser anthropomorphistischen Architekturauffassung wurden sowohl der menschliche Körper als auch das Gebäude mithilfe von Maßen, Zahlen, Proportionen und geometrischen Figuren exakt definiert, vor allem aber metaphorisch umschrieben.
Momente von Übergang und Zeitlichkeit sind auch dem von Morgenstern gewählten Motto der Schau „Sirup Ataraxis“ inhärent. Der altgriechische Ausdruck Ataraxia beschreibt einen Zustand von Seelenruhe, Gleichmut, Gelassenheit aber auch Statik.
Der Heiltrank „Sirup Ataraxis“ meint nichts anderes als ein Mittel, um den Schlaf künstlich herbeizuführen. Im Zustand des Schlafens, Träumens oder Dämmers, wie die Gemäldetitel „Mittagsruhe“ und „Mittagsschlaf“ insinuieren, scheinen sämtliche menschliche
Protagonisten in Morgensterns Malerei begriffen. Viele von ihnen haben die Augen geschlossen, mitunter liegt ihre Augenlinie verschattet im Scheitel einer Bogenarchitektur, oder ihr Blick ist dem unseren verborgen bzw. bisweilen ein somnambul nach innen gewendeter.
Der Schlaf wird allgemein verstanden als ein Modus des Zwischenseins: zwischen Leben und Tod, in einem Schwebezustand zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit. Jene Indifferenz und Ortlosigkeit spiegeln sich auch in den architektonischen Inventionen David Morgensterns, die zwischen vertrauter Referenz und vollkommener Imagination changieren.
Morgensterns Bilderfindungen wirken auf irritierende Weise real und traumhaft entrückt zugleich. Es gibt keinen einheitlichen Bildraum, seine Architekturen zeigen sich in manieriert übersteigerter und einander widersprechender Perspektive, sodass Blickpunkte aufgebrochen werden und den Betrachter ein Gefühl der Ortlosigkeit befällt. Allein die Konstruktion dieser Bildwelten verunmöglicht es, in ihnen heimisch zu werden. David Morgensterns metaphysische Kompositionen leben von der Dialektik aus Licht und Schatten, von Ruhe und Bewegung, wobei das Bildgeschehen zu ewiger Gegenwart erstarrt scheint.